Das ist der letzte Artikel auf diesem Blog.

Während ich das schreibe, bin ich dann doch ziemlich emotional. Schließlich hat mich dieser Blog seit Anfang 2021 begleitet. Und mit dem Abschluss dieses Projektes nehme ich auch Abschied von einem ganzen Lebensabschnitt: Dem, in dem ich Nomadin war und nirgendwo hingehörte.

Dafür, dass Heute Also Morgen – und damit auch der Podcast Reclaiming the Shadow – hier zu Ende ist, gibt es einen zentralen Grund.  

Unzugehörigkeit ist die Voraussetzung dafür, diese Artikel schreiben zu können. Im Grunde war der ganze Blog das Ergebnis und die Verarbeitung eines Experiments, was ich nach dem Abitur gestartet hatte: Nirgendwo hinzugehören, nirgendwo eingebunden zu sein und so wenig zu besitzen wie möglich. Das alles, um zu sehen, ob es mir den klaren Blick auf die Welt ermöglichen würde, von dem ich instinktiv wusste, dass er mir fehlte. Erst viel später und dank meines heutigen Mannes konnte ich benennen, was es eigentlich gewesen war, was meine Wahrnehmung so getrübt hatte. Kollektive Traumata. Die Strukturen, die uns prägen aus dem Kollektiv heraus, in das wir hineingeboren werden – und die wir in der Regel gar nicht bemerken, weil alle um uns herum die gleichen Muster tragen. Es braucht also erst ein Herauslösen aus Zusammenhängen, um die Wahrnehmung davon zu entwickeln.

In den Artikeln dieses Blogs habe ich diese kollektiven Strukturen beschrieben und sichtbar gemacht. Ich konnte das, indem ich mich aus Zusammenhängen gelöst und zugleich gelernt habe, mich bewusst und fühlend damit zu verbinden. Aber eben: Es ist eine Art der Beziehung zur Welt, die (zumindest in genau dieser Form) mit der Sesshaftigkeit nicht vereinbar ist.

Zugehörigkeit: Der nächste Lebensabschnitt

Seit zwei Monaten bin ich Mutter. 

Und dieses Erlebnis hat mich in die Mitte der Welt und meines Körpers geworfen wie nichts zuvor. Wenn ich in meinem letzten Leben Unzugehörigkeit erfahren habe, dann geht es jetzt um das genaue Gegenteil: Zugehörigkeit.

(Und diesen Schritt zu gehen war und ist an vielen Punkten für mich herausfordernder als der Aufbruch zu meiner ersten Reise ins Ungewisse.)

Diese veränderte Perspektive wird sich auch in meiner künstlerischen Arbeit zeigen. Die Unzugehörigkeit, die mich früher befreit hat, wäre jetzt zu einer bequemen Distanz geworden. Und ich wäre mit diesem Blog an einen Punkt gekommen, an dem ich nur noch Material aus meiner Vergangenheit verarbeitet hätte.

Und natürlich heißt das nicht, dass ich nie wieder Nomadin sein kann. Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass ich nicht den Rest meines Lebens sesshaft bleiben werde. Aber wir können nicht in Lebensabschnitte zurückkehren, genau wie wir nicht an Orte zurückkehren können. Mein Freund, der mazedonische Dichter Nikola Madzirov, hat mir dazu einmal etwas sehr Kluges gesagt: Wir können nicht an Orte zurückkehren, an denen wir gewesen sind. Denn in unserer Imagination sind diese Orte immer so, wie wir sie verlassen haben, während sie sich in Wirklichkeit verändern. Und daher ist das, zu dem wir zurückzukehren versuchen, immer mehr ein inneres Bild als etwas tatsächlich Existierendes.

Genauso ist es mit den Lebensphasen, glaube ich. Vielleicht werde ich eines Tages wieder alleine mit einem Rucksack irgendwohin aufbrechen, aber es wird nie wieder so sein wie mit 19. Das ist gut. Und es darf gleichzeitig bewusst abgeschlossen werden, mit allem, was dazugehört.

Die Geschichte dieses Projektes

Jetzt, zum Abschluss, will ich noch einmal auf das ganze Projekt zurückblicken.

Die erste Idee dazu hatte ich im Frühling 2021, in einem vollgestopften Kleinbus auf dem Weg zu dem albanischen Küstenstädtchen Himara. Ein paar Tage davor, noch im Hostel in Tirana, hatte mich jemand gefragt: “Wolltest du nicht heute schon abgereist sein?”

Und ich hatte geantwortet: “Ich weiß, ich hab gesagt, ich gehe heute – also geh ich morgen.”

Und da wurde mir bewusst, dass dieser Satz die Dynamik meiner damals einjährigen Reise auf den Punkt brachte. Was ich da tat, entsprach überhaupt nicht dem klassischen Bild davon, was “Reisen” bedeutete. Ich war eine schlechte Touristin und ich hatte in dieser ganzen Zeit sehr wenig gesehen. Stattdessen blieb ich ständig an Orten und Ländern hängen. Ich ging mit den Orten so in Beziehung, dass sie zum Teil meines Inneren wurden und ich noch heute zu jedem Ort, an dem ich gewesen bin, eine detaillierte Beschreibung abgeben könnte.

Meine erste Idee 2021 war, einen Reiseblog zu schreiben, der eben kein Tourismusblog ist. Einen Blog, in dem es nicht um Destinationen, Aktivitäten und wiederholbare Erlebnisse ging, sondern darum, was das Reisen mit einem machen kann. Ich wollte Menschen dazu inspirieren, in Beziehung zu treten, anstatt die Welt und das Fremde bloß zu konsumieren.

Damals hatte ich einen alten, viel zu schweren Laptop mit einem kaputten Akku und keinen blassen Schimmer, wie man eine Webseite baut.

Startschwierigkeiten – und viele Abenteuer

Gut für mich, dass ich mich kurz danach in einen Mann verliebte, der Programmierer und Webentwickler war und mir anbot, sich darum zu kümmern. Allerdings war nachher immer anderes wichtiger und bis zur tatsächlichen Fertigstellung meiner Webseite dauerte es ein ganzes Jahr. Vermutlich war ein Teil von mir auch ganz froh, dass ich durch dieses äußere Hindernis lange gar nicht wirklich anfangen konnte. Und dann, als ich mich Anfang 2023 trennte, musste ich die ganze Webseite noch einmal von vorne bauen. Denn sie lief über ein von ihm selbst entwickeltes System und ich hätte bei jeder Änderung seine Hilfe gebraucht. So richtig in meinen eigenen Händen war der Blog dann also erst 2023 auf der heutigen WordPress-Seite.

Während all dieser Zeit war ich unterwegs. Oft abenteuerlich und unter prekären Bedingungen. Und immer auf Verbindung ausgerichtet. Gemeinsam mit meinem damaligen Partner geriet ich auf eine Weise in Konfrontation mit den Orten und Menschen, für die ich alleine viel zu ängstlich gewesen wäre. Wir waren alleine, auf uns gestellt, und hatten keine soziale Blase mehr, an der wir uns so richtig orientieren konnten. Die Grenzen zwischen „Eigenem“ und dem „Fremden“ lösten sich für mich immer mehr auf. Es gab einfach nichts mehr, was nichts mit mir zu tun hatte.

In dieser Zeit habe ich gelernt, dass ich nicht nur Bücher lesen kann, sondern dass die Welt selbst ein Schriftsystem hat, was sich durch Präsenz erlernen lässt. Ich habe gelernt, die Welt zu lesen. Und ich habe bewusst miterlebt, wie all diese Orte und Menschen mich geformt und verändert haben, manchmal momentan, manchmal für immer. Mit der Zeit nahm ich mich immer weniger als ein abgetrenntes Individuum wahr, sondern einen großen Teil meines Wesens als eine Art formbare Masse, die sich immer meiner Umgebung anpasst.

Und genau das ist kollektives Bewusstsein. Auch wenn mir das gar nicht gleich klar war.

Kollektive Traumata und Recherchen in Albanien

Zum Jahreswechsel 2023/24 habe ich meinen heutigen Mann und den Vater meines Sohnes kennengelernt.

Mark las meinen Blog mit Begeisterung – und schickte mir dann sofort ein Buch von Thomas Huebl. Und plötzlich hatte ich eine Erklärung für das, was ich in meiner Reise zu spüren gelernt hatte: Die Beobachtung, dass die Orte und die Länder selbst eine Art Seele zu haben schienen, eine über-persönliche Geschichte mit Träumen und Wunden, die sich durch die individuellen Leben der Menschen ausdrückt, aber nicht in ihnen begründet liegt. Ich entdeckte, dass ich die ganze Zeit über etwas geschrieben hatte, zu dem es längst ein Konzept gab.

Im Frühjahr 2024 war ich wieder in Albanien, auf Recherche für mein Romanprojekt. Und das war einer der Punkte im Leben, auf die ich immer irgendwie hoffe, wenn ich mal wieder das Gefühl habe, nur Quatsch zu machen. Ein Punkt, an dem verschiedene Stränge sich zusammenfügen und alles plötzlich Sinn ergibt.

Während ich meinen Blog auf den Begriff “kollektive Traumata” positionierte, tauchte ich gleichzeitig tief in die jüngere Geschichte Albaniens ein. Und auch hier wurde es deutlich. Meine Interviewpartner waren ganz unterschiedliche Menschen: Sie hatten für die kommunistische Verwaltung gearbeitet oder waren von den Kommunisten enteignet worden; sie waren nach dem massenhaften Crash der betrügerischen Pyramidensysteme 1997 ausgewandert oder geblieben. Und trotzdem gab es bestimmte Bilder, Symbole und Gedanken, die sich in den Gesprächen immer neu wiederholten. So zum Beispiel die Erzählung, alles habe damals stärker geduftet und intensiver geschmeckt als heute.

21 der insgesamt 39 Artikel dieses Projekts sind erst ab diesem Zeitpunkt entstanden. Und das Thema ist für mich noch lange nicht auserzählt. Aber, wie schon gesagt, die Veränderungen in meinem Leben und meiner Perspektive fordern jetzt eine andere Form.

Die neuen Projekte

Die erste Fassung des Romanmanuskripts wird bald abgeschlossen sein. Und gleichzeitig habe ich durch meine Faszination für Albanien und das Ereignis des sogenannten Lotterieaufstands viel Material angesammelt, was es gar nicht in den Roman schaffen wird.

Es sind die Spuren einer unerzählten Geschichte; einer Geschichte, die sonst in den historischen Narrativen einfach verschwinden würde, überdeckt von einer allzu oberflächlichen, konformen Deutung der Welt. Es ist die unerzählte Geschichte Albaniens. Aber zugleich ist es die unerzählte Geschichte von uns allen. Denn sie zeigt anhand eines Ereignisses, was noch keine dreißig Jahre zurückliegt, wie offizielle Narrative bestimmen, welche Stimmen erinnert werden und welche nicht. Und wie lückenhaft wohl die Verbindung von jedem von uns zu unserer kollektiven Geschichte sein muss.

Darum geht es in meinem neuen Projekt. 

Es wird wohl wieder ein Blog werden, in dem ich nach und nach das gesammelte Material veröffentlichen und es noch um neues ergänzen werde. Es ist kein wissenschaftliches Projekt, sondern ein künstlerisches Experiment. Wenn ihr Updates dazu erhalten wollt, dann tragt euch jetzt in den Newsletter ein, denn auf dieser Seite gibt es bald keine neuen Informationen mehr.

In diesem Sinne – danke, dass du meine Arbeit bis hierher verfolgt hast. Ich hoffe, ich konnte dich inspirieren und vielleicht ab und zu deine Wahrnehmung der Welt ein wenig durcheinanderbringen.

🙂

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