Literatur und Auftritte.

Das albanische Romanprojekt

„Vico beeilte sich, sie einzuholen und nahm ihre Hand. Der Weg, dem sie folgten, war immer noch breit genug, dass ein Auto dort hätte entlangfahren können, aber er sah nicht sehr befahren aus; er lag voller Blätter und Pinienzapfen. “Susanna”, fragte er, “wovon träumst du?”

“In der Nacht?”

“Nein. Tagsüber.”

“Hmmm”, machte sie. Sie biss sich auf die Unterlippe. Vico hörte das Rauschen der Wellen, aber die Bäume standen so dicht, dass das Wasser nicht zu sehen war. “Ich finde es schön, dass du Träume hast”, sagte sie. Und dann: “Ich habe keine.”

“Aber warum?”, rief Vico aus. Er blieb stehen, als sie das sagte, aber sie ging einfach weiter, als hätten sie auf einmal ein Ziel zu erreichen. “Jeder Mensch hat Träume”, sagte Vico. “Die meisten Menschen zwar nur kleine und langweilige. Aber jeder Mensch hat Träume, oder?”

“Vico, ich weiß nicht…”, sagte sie. Sie schaute sich um, sie zeigte auf den dichten Wald, der sie umgab. “Deine Träume machen mich ärgerlich. Schau. Alle diese Bäume… werden eines Tages tot sein. Nicht?”

“Ich weiß nicht. Warum?”

“Weil jemand kommen wird, um ein Haus zu bauen. So wie du immer sagst. Ein Hotel.”

“Und?”

“Du kapierst es nicht.” Sie verschränkte die Arme vor der Brust und kniff die Augen zusammen. “Warum hörst du nicht auf zu träumen und lässt die Bäume, wo sie sind? Ich will keine blöden Hotels.”

Mit diesen Worten wendete sie sich ab und fing an zu rennen. Sie rannte, dass sich das eine Ende des Schals vom Kopf löste und hinter ihr herflatterte, mit einer Geschwindigkeit, die er ihr nicht zugetraut hätte. Er fühlte das Hämmern seiner Füße auf dem feuchten Kies, die schmalen Stämme flogen wie Schemen an ihm vorbei und rennend holte er tief Luft und schrie aus voller Kehle: “Wenn du hierbleibst, dann kaufe ich dir einen Wald!”

Bis in die Neunziger war Albanien eine völlig abgeriegelte, kommunistische Diktatur. Dann kam der Kapitalismus und mit ihm ein Boom von finanziellen Betrugsmaschen – der Kollaps, in dem der Großteil der Albaner ihr Vermögen verlor, führte 1997 in einen Bürgerkrieg.

Es ist ein Moment der albanischen Geschichte, über den selbst in der einheimischen Literatur noch kaum geschrieben wurde. Und dennoch ist es auch ein Moment, in dem sich alle großen, europäischen Geschichten zu versammeln scheinen: Die gescheiterten Träume des letzten Jahrhunderts, der Einfluss Amerikas, die Auswirkungen des Finanzsystems an dessen äußersten Rändern. „Die verlorene Zeit“ (Arbeitstitel) ist eine Geschichte über dieses schicksalhafte Jahr 1997 – und eine Geschichte über die Träume, Hoffnungen und Ängste, die das Bewusstsein Europas bis heute formen.

Lyrik: Fragmente

Unhaltbar, unbestimmbar 
Ein Splitter Zeit, ein im Kreis irrendes Licht 
Ein Huhn, das den Weg ins Salatbeet immer wieder findet 
Sich meinen greifenden Händen immer wieder entwindet 
Ein geniales Gedicht, das zu schnell wieder verschwindet 
Spurlos, vage, nur eine Berührung 
An einer unberührbaren Stelle

Ich schreibe seit Jahren Gedichte und hätte sofort genug für einen Gedichtband beisammen. Nur war es bisher immer eher eine Nebensache, etwas, was ich in Momenten geschrieben habe, die einfach zu dicht waren für ein theoretisches Konzept. Etwas, was ich verschenkt und verteilt, aber noch nie richtig geordnet oder irgendwo eingeschickt habe. Wer weiß, vielleicht kommt der Tag ja noch…

In der Schublade: Die Lügnerin

„Und manchmal wird sie abends irgendjemand fragen: Und, wie war es in der Stadt? Hast du irgendwelche Lügner gefunden? Dann weiß sie nicht, was sie sagen soll. Es ist auch nicht so wichtig, denn Irgendjemand wird gleich darauf anfangen, ihr von seinem eigenen Buch mit dem Titel «The Poop Eating Pool Monster» zu erzählen. Vielleicht hätte sie sagen können: Lügner braucht sie nicht zu suchen.“

„Die Lügnerin“ ist eine radikal subjektive Autofiktion über eine Nomadin zwischen verschiedenen Milieus und Kulturen. Eine Geschichte über sexuelle Selbstfindung und das Ringen um die Wahrheit. Das Manuskript ist meine hauptsächliche Arbeit der letzten Jahre und liegt in der Schublade, bis ich berühmt bin und jemand meine Jugendwerke veröffentlichen will, um zu zeigen, wie schlau ich damals schon war (ganz ehrlich, es ist ein hochinteressantes Buch, aber es gibt einen Grund, warum die meisten Schriftsteller erst ihren zweiten Roman veröffentlichen).

Das Bild stammt von dem marokkanischen Maler Said Makhlouf.